BGH, Individualvereinbarung im Lagerrecht, Urteil vom 20.09.2018 – I ZR 146/17 –

Der BGH hatte sich in vorgenannter Entscheidung u.a. mit einer Freizeichnungsklausel (sog. Schwundklausel bei Inventurdifferenzen) zu beschäftigen. Er hat hierzu festgestellt, dass die Haftung gemäß § 475 HGB außer durch Allgemeine Geschäftsbedingungen, die den Erfordernissen der §§ 305 bis 310 BGB entsprechen und dabei insbesondere die Kardinalpflichten des Lagerhalters angemessen berücksichtigen müssten, auch durch Individualvereinbarungen beschränkt werden könnten, sofern diese die für sie geltenden Grenzen der Gestaltungsmacht der Parteien einhalten.

Der klagende Lagerhalter hatte sich auf folgende Regelung im Vertrag berufen:

„ITC is liable for inventory differences up to 99,6% from the value of the goods (buying price) which are handled by ITC each year.“

Das ist die sogenannte Schwundklausel. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass damit die Haftungsfolgen für den Fall einer Inventurdifferenz geregelt werden sollten. Der BGH ist der Auffassung, dass Haftungsfreizeichnungen bei Verlust von Gütern beim Lagerhalter unbeachtlich seien, weil es dabei um die Verletzung von Kardinalpflichten gehe, entgegengetreten. Dem sei nicht so, da die Haftung des Lagerhalters gemäß § 475 HGB – anders als etwa gemäß § 449 HGB die Haftung des Frachtführers – grundsätzlich abdingbar sei. Die Haftung gemäß § 475 HGB könne daher durch Allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt werden, die den Erfordernissen der §§ 305 bis 310 BGB entsprechen und insbesondere die Kardinalpflichten des Lagerhalters angemessen berücksichtigen. Auch könne diese Haftung durch Individualvereinbarungen beschränkt werden, sofern diese die für sie geltenden Grenzen der Gestaltungsmacht der Parteien einhalten.

Es sei jedoch zu beachten, dass gemäß der zwingenden gesetzlichen Regelung des § 276 Abs. 3 BGB dem Schuldner die Haftung für Vorsatz nicht im Voraus erlassen werden könne. Dem Schuldner könne zwar die Haftung für eine schuldhafte – auch vorsätzliche – Pflichtverletzung seiner Erfüllungsgehilfen im Voraus erlassen werden (§ 278 Satz 2 BGB). Eine Haftung des Schuldners für eine eigene vorsätzliche Pflichtverletzung könnten die Parteien jedoch nicht im Voraus ausschließen (§ 276 Abs. 3 BGB). Nach Auffassung des Senats verstößt die oben genannte Schwundklausel nicht gegen § 276 Abs. 3 BGB. Sie sei mit Blick auf § 276 Abs. 3 BGB dahin auszulegen, dass sie die Haftung der Klägerin bei vorsätzlichem Verhalten nicht ausschließen soll.

Die Beweislast für ein qualifiziertes Verschulden des Unternehmers bei Verkehrsverträgen liege beim anderen Vertragsteil. Sie sei allerdings dadurch gemildert, dass den Unternehmer in Bezug auf die Organisation seines Betriebs eine sekundäre Darlegungslast trifft. Sofern der Unternehmer dieser sekundären Darlegungslast in

hinreichendem Umfang nachgekommen sei, sei es Sache des Anspruchstellers, die Voraussetzungen für die unbeschränkte Haftung des Unternehmers darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Dem hinreichend nachzukommen, ist Sache des Unternehmers bzw. seiner Organe selbst, so dass sich ein etwaiges qualifiziertes Verschulden oder Vorsatz auch nicht im Wege der Individualvereinbarung ausschließen lassen.

U.S.