LG Nürnberg-Fürth – grob fahrlässige Oblie-genheitsverletzung im Rahmen einer Reiserück-trittsversicherung, Beschluss vom 12.11.2020, Az. 2 T 3485/19

Im vorliegenden Fall hatte der klagende Versicherungsnehmer Stornierungskosten im Rahmen eines mit der Beklagten geschlossenen Reiserücktrittsversicherungsvertrages geltend gemacht. Die beklagte Versicherung hatte die Erstattung mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Kläger nach Kenntnis von seiner Krebserkrankung entsprechend den Versicherungsbedingungen die Reise unverzüglich hätte stornieren müssen, was nicht geschehen sei. Das Amtsgericht hatte der Klage mit der Begründung stattgegeben, dass zwar die Krebserkrankung der versicherten Ehefrau des Klägers bereits am 01.12.2017 bekannt gewesen sei, doch habe die Versicherte zunächst die Durchführung der Operation und im Anschluss daran vorliegende Erkenntnisse zur Notwendigkeit einer Chemotherapie abwarten dürfen.

Das Landgericht teilt die Auffassung des Amtsgerichts nicht. Es führt zunächst aus, dass eine Reiseunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen vorliege, wenn bei der versicherten Person nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Reiseunfähigkeit zu erwarten sei und ihr der Antritt der Reise oder die planmäßige Rückreise objektiv nicht zugemutet werden könne. Voraussetzung sei danach keine feststehende Reiseunfähigkeit, sondern nur eine negative Prognose, welche bei Diagnose einer potentiell tödlichen Erkrankung, deren konkreter Verlauf noch nicht zuverlässig abgesehen werden könne, gegeben sei. Ein offenkundig schweres Krankheitsbild, welches nach der bereits gestellten gravierenden Diagnose eines nicht gutartigen Tumors einen stationären Krankenhausaufenthalt mit Operation erfordere und es wahrscheinlich unzumutbar machen werde, die Reise anzutreten, gebiete die unverzügliche Stornierung.

Vor diesem Hintergrund gelangt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass die Stornierung nicht mehr unverzüglich erfolgt sei. Soweit eine unverzügliche Stornierung nicht erfolge, könne die Versicherungsleistung wegen Verletzung einer Obliegenheit unter bestimmten Umständen gekürzt werden oder vollständig entfallen. Hinsichtlich eines „unverzüglichen“ Handelns sei eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, wobei eine Bedenkzeit von 3 Tagen angemessen erscheine, um die mitgeteilte Diagnose zu verarbeiten und zu bewerten. Die vorliegende Obliegenheitsverletzung in Form der danach nicht unverzüglich vorgenommenen Stornierung sei als grob fahrlässig einzustufen und rechtfertige eine Leistungskürzung um 50 %. Nach der Rechtsprechung des BGH sei eine Leistungskürzung des Versicherers „auf Null“ nur in besonderen Ausnahmefällen möglich. Es müsse sich um Sachverhalte handeln, die sich im Grenzgebiet zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bewegen. Dabei sei immer eine Abwägung der Umstände des Einzelfalles erforderlich. Die Kammer hat den dem Kläger zu machenden Vorwurf wegen der Verletzung seiner Stornierungsobliegenheit als „Durchschnittsfall“ bewertet und hat daher eine Kürzung um die Hälfte für gerechtfertigt gehalten.

Hinsichtlich der Reiseunfähigkeit vor dem Hintergrund einer konkreten Diagnose auf die allgemeine Lebenserfahrung abzustellen, halte ich für zutreffend. Subjektive Aspekte auf die Ebene der Verschuldensquote zu verlagern, erscheint zumindest vertretbar.

U.S.