Hanseatisches OLG, Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung: Prü-fung der Wirksamkeit von Klauseln mit der Formulierung „unerwartete und schwere Erkrankung“, Urteil vom 10.07.2020, Az. 9 U 228/19

Das OLG hat entschieden, dass die in den Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung verwendeten Klauseln mit der Formulierung „unerwartete und schwere Erkrankung“ weder gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot, noch im Übrigen gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB (unangemessene Benachteiligung) unwirksam oder überraschend i.S.v. § 305c Abs. 1 BGB sind.

Geklagt hatte eine Verbraucherschutzorganisation. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Klauseln wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam seien. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne den Klauseln nicht hinreichend klar entnehmen, was versichert sei. Dieser könne anhand des Tatbestandsmerkmals „schwer“ nicht erkennen, ab welcher Intensität der Erkrankung die Beklagte Versicherungsschutz gewähren wolle. Durch das Merkmal „unerwartet“ werde dem Versicherungsnehmer nicht klar und verständlich gemacht, unter welchen Umständen er mit einer Erkrankung zu rechnen habe, ob ein schon bestehendes Grundleiden eine hierfür typische Erkrankung sei und ob ein bei einem chronischen Leiden typischer Krankheitsschub nicht mehr als „unerwartet“ einzustufen sei. Es mangele den Versicherungsbedingungen der Beklagten an jeglicher Präzisierung der Tatbestandsmerkmale „schwer“ und „unerwartet“. Es wäre im Mindesten zu erwarten, dass die Beklagte Definitionen wiedergebe und in ihren Formularabreden erläutere, dass es bei der Schwere der Erkrankung darauf ankomme, dass die Krankheitssymptome der Nutzung der gebuchten Hauptreiseleistung entgegenstünden. Die Formulierung „unerwartete und schwere Erkrankung“ nehme ferner zum Teil bereits die bei Vertragsschluss bestehenden Krankheiten des Versicherungsnehmers vom Versicherungsschutz aus. Deshalb müsse der Versicherer im Sinne der §§ 19 ff. VVG solche Erkrankungen vorab in Textform erfragen und zwar unter Hinweis auf die möglichen Sanktionen einer entsprechenden Anzeigepflichtverletzung. Der Versicherer umgehe das Konzept der vorvertraglichen Anzeigepflicht, wenn er mittels der Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln eine Risikoprüfung im Vorfeld des Vertragsschlusses unterlasse und jene auf den Zeitraum nach dessen möglichen Eintritt verlagere und damit auf den Versicherungsnehmer unzulässig abwälze. Zudem werde der Vertragszweck nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB gefährdet, denn gerade solche Versicherungsnehmer, die eher mit einer Erkrankung rechnen müssten, würden mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Deckungsverlust erleiden. Die beklagte Versicherung ist dem entgegengetreten.

Nachdem das Landgericht Hamburg der Klage zunächst stattgegeben hatte, hat das OLG das Urteil infolge der von der beklagten Versicherung eingelegten Berufung aufgehoben. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers seien die beanstandeten Klauseln weder gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot  noch im Übrigen gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam oder überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Der Senat führt hierzu u.a. aus, dass sich die beanstandete Formulierung „unerwartete und schwere Erkrankung“ in den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung nicht als intransparent erweise. Entgegen der Auffassung des Klägers werde dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch diese Formulierung der Versicherungsschutz – trotz des Beurteilungsspielraums im Falle einer Dauererkrankung sowie in Bezug auf die Intensität der Erkrankung – verständlich und umfassend vor Augen geführt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde zunächst den Wortlaut zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nehmen. Aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs werde er unter dem Begriff „Erkrankung“ eine Störung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens verstehen, die von der Norm „Gesundheit“ abweiche und eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Betätigung nach sich ziehe. Er werde dann dem Begriff „Erkrankung“ das Adjektiv „schwer“ zuordnen. Das Adjektiv „schwer“ entstamme der Alltagssprache und mache klar, dass die Erkrankung heftig und von einigem Gewicht sein müsse.

Die beanstandete Formulierung „unerwartete und schwere Erkrankung“ beinhalte auch im Übrigen keine unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten. Hierzu führt der Senat u.a. aus, dass der Inhalt der Vereinbarung durch Auslegung entsprechend den allgemeinen Auslegungsregeln für vertragliche Vereinbarungen zu ermitteln sei. Für die Auslegung komme es nach der Rechtsprechung des BGHs auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an, die sich am Wortlaut der Klausel und deren Sinn und Zweck orientieren. Maßgeblich sei der durchschnittliche Versicherungsnehmer des Adressatenkreises der jeweiligen Versicherungsbedingungen.

Der Senat hat sich sehr ausführlich mit der teilweise anderslautenden Auffassung in der Literatur auseinandergesetzt und ist sodann zu seiner gut begründeten Entscheidung gelangt. U.S.