LG Coburg, Schadenersatz nach Verkehrsunfall: Anspruch eines Reiserücktrittskosten-Versicherers gegen den (Kfz-) Haftpflichtversi-cherer auf Erstattung gezahlter Stornokosten aus übergegangenem Recht, Urteil vom 17.03.2014, Az. 14 O 298/13, bestätigt durch BGH, Urteil vom 21.04.2021, Az. IV 169/20-

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Reisen infolge von vor Reiseantritt erlittenen Verletzungen aufgrund eines Verkehrsunfalles nicht angetreten werden können. Wenn der Betroffene eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen hatte, kann er die infolge des Reiserücktritts entstandenen Stornokosten grundsätzlich vom Reiseversicherer erstattet verlangen. Es stellte sich sodann die Frage, ob der Reiseversicherer nach Schadensregulierung die Stornokosten gegen den Unfallverursacher geltend machen bzw. von diesem erstattet verlangen kann.

Es ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob ein Erstattungsanspruch besteht. Dabei hat die ablehnende Position offen gelassen, ob die Reiserücktrittskostenversicherung als unter § 86 Abs. 1 VVG fallende Schadensversicherung oder als Summenversicherung einzustufen sei. Der Anspruch der Reisenden sei jedenfalls nicht auf die Klägerin gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG übergegangen, da es sich nicht um einen Ersatzanspruch im Sinne des Gesetzes handele. Voraussetzung sei, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch gegen einen Dritten habe, weil dieser auf das versicherte Gut des Versicherungsnehmers eingewirkt habe. Eine solche Drei-Personen-Konstellation gebe es im Falle von versicherten Stornokosten nicht. Es sei kein Dritter gewesen, der auf das versicherte Rechtsgut eingewirkt habe. Vielmehr habe der Reisende durch eigene Rücktrittserklärung den Versicherungsfall ausgelöst. Es entstehe in der Folge auch kein Ersatzanspruch der Reisenden gegen das Reiseunternehmen, sondern das Reiseunternehmen erwerbe aufgrund dieser Rücktrittserklärung einen eigenen Ersatzanspruch aus dem Reiserecht. Auch eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG komme nicht in Betracht. Es fehle schon an einer sachlichen Nähe der relevanten Konstellationen und im Übrigen an einer planwidrigen Lücke im Gesetz.

Dem ist der BGH mit der oben genannten Entscheidung entgegengetreten und hat im Ergebnis die Entscheidung der zitierten Entscheidung des Landgerichts Coburg sowie der des Landgerichts Hannover  vom 09.06.2016 (Az. 4 S 36/15) des Landgerichts Stuttgart vom 08.09.2016 (Az. 27 O 425/25) bestätigt.

Nach Auffassung des BGH ist die Reiserücktrittskostenversicherung eine Schadenversicherung im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Stehe dem Versicherungsnehmer ein Ersatzanspruch gegen einen Dritten zu, gehe dieser Anspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetze. Die Regelung finde infolge ihres Standortes im Gesetz auf die Schadensversicherung Anwendung. Demgegenüber gelte sie nicht für die Summenversicherung, etwa eine Lebens-, eine Krankentagegeld- oder eine Unfallversicherung, soweit es bei letzterer nicht um den Ersatz eines konkret entstandenen Schadens gehe.

Der BGH hat sich der überwiegenden Auffassung angeschlossen. Diese hält § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG für anwendbar (LG Stuttgart, Urteil vom 08. 09.2016 – 27 O 425/15; LG Hannover, Urteil vom 09.06.2016 – 4 S 36/15; LG Coburg, Urteil vom 17.03.2014 – 14 O 298/13; Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 86 Rn. 5).

Zur Begründung führt der Senat aus: In der Reiserücktrittskostenversicherung stehe die dem Versicherungsnehmer seitens des Versicherers im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles zu erbringende Leistung nicht bereits bei Vertragsschluss als fixe Summe fest. Vielmehr orientiere sich die Versicherungsleistung an den dem Versicherungsnehmer vom Reiseveranstalter in Rechnung gestellten Stornokosten (vgl. § 1 Nr. 2 a) der Versicherungsbedingungen für die Reiserücktrittskostenversicherung). Diese Stornokosten stellten als nutzlose Aufwendungen für die ausgefallene Reise den dem Versicherungsnehmer entstandenen Schaden dar. Sie richteten sich nach den zum Zeitpunkt der Reisestornierung maßgeblichen Faktoren, nämlich dem individuellen Reisepreis, dem Zeitpunkt der Stornierung, dem Stornierungsumfang etc. Maßgebend hierfür sind die im einzelnen Reisevertrag vereinbarten Regelungen. An diesen dem Versicherungsnehmer entstandenen konkreten Kosten richte sich die Ersatzleistung des Reiserücktrittsversicherers aus. Sie diene mithin dem Ersatz des dem Versicherungsnehmer im Einzelfall entstandenen Schadens. Die Gegenauffassung differenziere demgegenüber nicht hinreichend zwischen den vertraglichen Verhältnissen zwischen Versicherungsnehmer und Reiseveranstalter einerseits sowie Versicherungsnehmer und Reiserücktrittskostenversicherer andererseits.

Die Voraussetzungen gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG liegen nach Auffassung des BGH auch vor. Auf die Einwirkung eines Dritten auf das versicherte Gut komme es für die Anwendung des § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht in dem Sinne an, dass der Anspruchsübergang allein deshalb ausgeschlossen wäre, weil der Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters erst durch den Rücktritt der Reisenden ausgelöst würde. So sei etwa allgemein anerkannt, dass § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auch dann eingreife, wenn Gegenstand des Versicherungsvertrages eine Ersatzpflicht des Versicherungsnehmers gegenüber einem Dritten sei, wie dies etwa bei der Haftpflichtversicherung der Fall sei. In einem derartigen Fall könne ein Haftpflichtversicherer, der den Versicherungsnehmer befriedigt habe, gegen den Geschädigten Zahlungsansprüche geltend machen, wenn die Haftpflichtforderung in der zunächst geltend gemachten Höhe nicht bestanden habe.

Nach hiesiger Auffassung ist der Reiserücktrittsversicherer daher nach erfolgter Regulierung der Stornokosten an den eigenen Versicherungsnehmer berechtigt, diese gegenüber etwa dem Kfz-Haftpflichtversicherer geltend zu machen. Der bisherigen Ablehnung dürfte daher nunmehr die Grundlage entzogen sein.

U.S.