OLG Hamm, Mitverschulden bei unterlassener Wertdeklaration, Urteil vom 10.06.2024, 18 U 35/23

In der vorgenannten Entscheidung ist es u.a. um die Frage eines den Schaden mindernden Mitverschuldens bei unterlassener Wertdeklaration gegangen. Der erkennende Senat hat sich dabei mit der Frage auseinandergesetzt, ob dieser Ansatz auch zum Tragen komme, wenn ein die Haftung durchbrechendes qualifiziertes Verschulden (§ 435 HGB) nicht gegeben ist. Hintergrund des Rechtsstreits war in Verlust geratene Ware.

Der Senat führt aus, dass auch in den Fällen, in denen der Frachtführer lediglich im Rahmen der Haftungshöchstgrenzen des § 431Abs. 1, 4HGB hafte oder lediglich in dieser Höhe in Anspruch genommen werde, sich ein Mitverschulden des Absenders, der eine Wertdeklaration unterlasse, obwohl er zumindest hätte wissen müssen, dass der Frachtführer die Sendung bei dieser Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, ergeben könne, wenn der auf den Gesamtschaden bezogene Haftungsanteil betragsmäßig hinter der Haftungssumme des § 431 HGB zurückbleibe.

Der Absender könne nach Auffassung des Senats in einen nach §§, 425 HGB, 254 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er Kenntnis davon hätte oder hätte haben müssen, dass der Frachtführer die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, jedoch von einer Wertdeklaration abgesehen habe und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlange. Von einem Kennenmüssen der Anwendung höherer Sorgfalt bei korrekter Wertangabe könne etwa dann ausgegangen werden, wenn sich aus den Beförderungsbedingungen des Frachtführers ergebe, dass er für diesen Fall bei Verlust oder Beschädigung des Gutes höher haften will, weil zur Vermeidung der versprochenen höheren Haftung erfahrungsgemäß höhere Sicherheitsstandards gewählt würden.

Ferner komme auch bei der Höhe nach beschränkter Haftung ein Mitverschulden unter dem Aspekt des Unterlassens eines Hinweises auf einen ungewöhnlich hohen Schaden in Betracht. Die ungewöhnliche Höhe eines Schadens ergebe sich nicht allein aus einem bestimmten Wert des Gutes oder aus einer bestimmten Wertrelation. Vielmehr könne die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden drohe, regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Dabei sei maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen und auch zu berücksichtigen, welche Höhe vergleichbarer Schäden erfahrungsgemäß – also nicht nur selten – erreichen. Insbes. sei von Bedeutung, in welcher Höhe der Schädiger Haftungsrisiken vertraglich eingehe und andererseits von vornherein auszuschließen bemüht sei. Angesichts der Haftungsbegrenzung in § 431 Abs. 1 HGB erscheine es naheliegend, im Frachtrecht die Gefahr eines besonders hohen Schadens im Sinne von § 254 Abs. 2 S. 1 BGB in solchen Fällen anzunehmen, in denen der Wert der Sendung den zehnfachen Betrag der Regelhaftung gem. § 431 Abs. 1 HGB übersteige.

Letzteres deckt sich mit der Rechtsprechung des BGH im Bereich der unbeschränkten Haftung. Ich halte diese Ausführungen für zutreffend. Die Durchsetzung auch der beschränkten Haftung ist daher mit Blick auf ein etwaig zu berücksichtigendes Mitverschulden kein Selbstläufer.

Des Weiteren hatte der Senat auch die Frage zu bearbeiten, wie der Schaden festzustellen sei, wenn die zum Transport gegebene Ware nicht infolge eines Handelsgeschäft übergeben und sodann in Verlust geraten ist, sondern infolge einer Umlagerung. Nach Auffassung des Senats sei ein Beschaffungswert anzusetzen, der sich an Verkaufspreisen der jeweiligen Handelsstufe orientiere, der Ersatzanspruch beschränke sich hingegen nicht auf die bloßen „Produktionskosten“ für die Neuherstellung des verlorenen Gutes ohne jegliche Handelsspanne. Das folge aus § 429 Abs. 3 S. 1 HGB, der nicht auf die dem Geschädigten entstehenden Wiederbeschaffungskosten abstelle, sondern auf den Marktpreis, also auf den Verkäuflichkeitswert auf der betreffenden Handelsstufe. Dieser Wert enthalte regelmäßig auch Gewinnelemente.

Der Senat meint, dass § 429 Abs. 3 Satz 1 HGB vom allgemeinen Schadensrecht abweiche. Ob dem so ist, halte ich für nicht eindeutig. Die Anschaffungskosten mögen grds. erstattungsfähig sein. Weshalb bei umgelagerter Ware scheinbar stets davon ausgegangen werden kann, dass die Ware mit Gewinn verkauft worden wäre, obwohl noch gar kein Handelsgeschäft abgeschlossen worden ist, ist nicht recht nachvollziehbar. Die weitere Rechtsprechung hierzu wird abgewartet werden müssen.

U.S.